Die Karte zeigt den Anteil der dauerhaft ansässigen, hispanischen Einwohner*innen an der Gesamtbevölkerung pro Gemeinde in der Schweiz.
Eine Nation, eine Sprache – nach diesem Grundsatz wurde die Ausbreitung von Sprachen früher oft kartiert. «Doch Sprachen sind nicht nur territorial», sagt Johannes Kabatek, ordentlicher Professor für romanische Philologie an der Universität Zürich. Er sucht deshalb nach Möglichkeiten, wie sich Sprachen mehrschichtig im Raum und über die Zeit darstellen lassen.
Einige Meter unter dem Büro von Johannes Kabatek im Romanischen Seminar befindet sich eine der grösseren Sammlungen von Sprachatlanten in Europa. Sie gehört zum Legat des 1952 verstorbenen romanischen Philologen Prof. Dr. Jakob Jud. «Jud war Vertreter der Sprachgeografie, die in den 1920er Jahren in Frankreich aufkam», erzählt Johannes Kabatek, und ergänzt: «Sie verbindet Sprachwissenschaft mit Geografie und untersucht, wie sich sprachliche Erscheinungsformen verbreiten.» Vom Wissen über die sprachliche Verbreitung erhofften sich die Sprachgeografie weitere Erkenntnisse über die Siedlungs- sowie die Kulturgeschichte. Nach seinem Tod vermachte Jud als Inhaber des Lehrstuhls für romanische Philologie an der Universität Zürich seine Sammlung dem Romanischen Seminar. «Für uns enthalten diese Sprachatlanten wertvolle Informationen über die Ausbreitung der Sprachen», sagt Kabatek, mahnt aber auch: «Sprache war und ist heute zum Teil noch mit territorialem Denken und staatlichen Interessen verbunden. Wir müssen die Darstellungen der Atlanten mit Vorsicht geniessen, denn Sprach- und Landesgrenzen waren selten deckungsgleich. Das ist heute noch so.»
Hinzu komme, dass in einem Gebiet oft mehrere Sprachen gesprochen werden können. «Diese Kritik an der Sprachgeografie kam vor allem seit den 1980er Jahren auf, doch schon Anfang des 20. Jahrhunderts kritisierte sie der in Zürich tätige Romanist Louis Gauchat. Denn die Realität entsprach selten dem monolingualen Fall. Je nach Generation, Geschlecht, Gesellschaftsschicht etc. bestehen mehrere Sprachen nebeneinander», führt Kabatek aus. Zudem habe die Migration zusätzlich Bewegung in das sprachliche Gefüge gebracht. «Die sprachliche Realität besteht meist aus mehreren Schichten oder Dimensionen, die sich überlagern und über die Zeit auch verändern können», erklärt er. Wie können Sprachen im Raum und über die Zeit mehrdimensional visualisiert werden? Diese Frage umtreibt nicht nur den Philologen, sondern auch die Geograf*innen, die sich mit Geoinformationssystemen, kurz GIS, beschäftigen.
Spanisch in der Schweiz
«Digitale Karten haben hier viel Potenzial», ist Kabatek überzeugt. Als Beispiel nennt er das interdisziplinäre Projekt Mapa del Español en Suiza (auf Deutsch «Karte des Spanischen in der Schweiz»), das er initiiert hat. Anhand verschiedener Daten wird die Präsenz des Spanischen in der Schweiz auf Karten dargestellt. «Auf einer Karte zum Beispiel zeigen wir den Anteil an Spanisch sprechenden Personen pro Gemeinde in der Schweiz. Die zeitliche Dimension haben wir über einen Regler unterhalb der Karte eingebaut. Damit kann man sich die Entwicklung von 2010 bis 2020 anzeigen lassen, entweder als Total oder nach Nationalitäten aufgeschlüsselt.» Die Daten hinter den Karten werden regelmässig aktualisiert. Kabatek ist stolz auf das interdisziplinäre Projekt, weist aber auch auf dessen Grenzen – die Datenverfügbarkeit – hin: «Es gibt keine direkten Daten dazu, wer in der Schweiz Spanisch spricht. Wir greifen deshalb auf die Nationalität zurück, weil das Bundesamt für Statistik diese Daten erhebt. Genau genommen ist aber die Gleichsetzung ‘Spanisch sprechen und Nationalität eines Landes, in dem Spanisch gesprochen wird’ nicht korrekt.» Hinzu komme, dass zum Beispiel Sans Papiers nicht erfasst werden können, weil es hier keine verlässlichen Daten gibt.
Die Datenverfügbarkeit sei auch ein Problem für sprachhistorische Darstellungen. «Um zum Beispiel die Ausbreitung einer Sprache im Mittelalter zu visualisieren, können wir nicht einfach eine Excel-Tabelle mit Daten einlesen, weil es keine solche Datentabelle gibt. Oft haben wir eine Darstellung über die Ausbreitung einer Sprache zum Zeitpunkt X. Mangels Alternativen müssen wir mit solchen Darstellungen aus verschiedenen Zeiten und Quellen arbeiten», erklärt Kabatek. «Eine Karte ist immer auch eine Vereinfachung, eine Verallgemeinerung und eine Reduktion der Realität», gibt er zu bedenken. Eine Karte habe aber durchaus auch viele Vorteile, meint er: «Sie schafft Übersicht, bietet Orientierung und kann Zusammenhänge sichtbar machen.»
Wie wird eine Sprache zur Weltsprache?
Um die ganz grossen Zusammenhänge geht es in seinem neuesten Projekt, für das sich Kabatek die Unterstützung von Geneviève Hannes, einer Geografie-Studentin im Master, geholt hat: «Wir möchten herausfinden, wie Sprachen durch Ausbreitung zu Weltsprachen geworden sind, und diese Ausbreitung visualisieren.» Spread of World Languages, kurz SPROWL, heisst das gemeinsame Projekt mit Bernd Kortmann (Universität Freiburg) und Walter Bisang (Universität Mainz). Es startet demnächst mit einer Pilotstudie zur Ausbreitung des Spanischen und testet verschiedene Modellierungs- und Darstellungsmethoden. Wie so eine Darstellung aussehen könnte, erfahren Sie in einigen Monaten auf unserem Blog.
Johannes Kabatek ist seit 2013 ordentlicher Professor für Romanische Philologie mit besonderer Berücksichtigung der iberoromanischen Sprachwissenschaft am Romanischen Seminar der UZH. Kabatek hat in Tübingen und Málaga studiert. Nach seinem PhD über Sprachkontakt im Nordwesten Spaniens wurde er wissenschaftlicher Assistent an der Universität Paderborn. Bevor er nach Zürich kam, war er ordentlicher Professor an den Universitäten Erfurt, Freiburg und Tübingen.
Sein Forschungsgebiet umfasst die Romanische Linguistik (Französisch, Ibero-Romanische Sprachen); Sprachkontakte, Minderheitensprachen, mittelalterliches Spanisch; Galicisch; Brasilianisches Portugiesisch; Historische Linguistik; Historische Syntax, gesprochene und geschriebene Sprache.
Spread of World Languages, kurz SPROWL, heisst das neueste Projekt von Johannes Kabatek, das er in Zusammenarbeit mit Bernd Kortmann (Universität Freiburg) und Walter Bisang (Universität Mainz) realisiert; dabei arbeitet er auch mit Geneviève Hannes, Master-Studentin in Geografie, zusammen. Das Projekt untersucht, wie Sprachen sich zu Weltsprachen ausbreiten und wie diese Ausbreitung über Raum und Zeit visualisiert werden kann. Die Pilotstudie von SPROWL, die sich der Spanischen Sprache widmet, wird vom GIS Hub unterstützt.